Efeu - Die Kulturrundschau - Archiv

Film

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Efeu - Die Kulturrundschau vom 04.05.2024 - Film

Gestern wurde der Deutsche Filmpreis verliehen: Der Hauptpreis ging an Matthias Glasners "Sterben", die "beste Regie" an Ayşe Polat für "Im toten Winkel". Beide Filme bekamen am Abend auch die meisten Auszeichnungen. Andreas Busche vom Tagesspiegel kann damit gut leben: Es "wurden zielsicher die beiden Filme ausgezeichnet, die das Versprechen eines überraschenden, noch nicht von Fördergremien konfektionierten deutschen Kinos einlösen. Der dritte Hoffnungsträger, der hier erwähnt werden sollte, Timm Krögers Sci-Fi-Noir 'Die Theorie von Allem', gewann drei Lolas in den Kategorien Kamera, Szenenbild und visuelle Effekte. Für den sogenannten künstlerischen Film ... stimmen diese Preise optimistisch, auch wenn der Referentenentwurf aus dem Hause Roth bisher vor allem auf wirtschaftliche Anreize abzielt."

"An diesem Abend sollte auf keinen Fall etwas schiefgehen", resümiert Carolin Ströbele auf Zeit Online den Abend, das Debakel der Berlinale-Abschlussgala noch in guter Erinnerung. "Claudia Roth erinnerte zu Beginn ... an die Situation der israelischen Geiseln, die sich immer noch in der Gewalt der Hamas befinden: 'Bring them home now.' Roth sprach weiter von der erschütternden Situation der Zivilbevölkerung in Gaza, der Lage im Sudan, dem Krieg in der Ukraine. ... Warnungen vor zunehmendem Antisemitismus und Rechtsextremismus in Deutschland prägten auch den weiteren Abend, am eindringlichsten in der Rede von Margot Friedländer. Die 102-jährige Holocaustüberlebende ... sagte: 'Als ich vor 14 Jahren zurückgekommen bin, hätte ich es mir nicht träumen lassen, was jetzt in der Öffentlichkeit los ist. So hat es damals auch angefangen.' An die rund 1.600 Gäste richtete sie einen Appell: 'In diesem Raum sitzen ganz viele Geschichtenerzähler. Ihr habt die Verantwortung, die Kraft des Films zu nutzen, damit so etwas nie wieder passiert. Ich bitte euch: Seid Menschen.'"

Thomas Thiel berichtet für die FAZ von einer Paneldiskussion der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen zum Bekenntniszwang im Film- und Kulturbetrieb, der in aller Regel zu Unterschriften gegen Israel führt. "Wie kommt es, dass Autorenfilmer, die Wert auf ihre unverwechselbare Handschrift legen und gern schwierige, widersprüchliche Stoffe wählen, bei politischen Themen im Gleichschritt marschieren? Weil sie sich nicht damit auskennen, aber trotzdem überall mitmachen, wäre die erste Antwort. Kunst wird von der Kulturförderung immer häufiger nach Gesinnungskriterien bewertet. Oft kommt ein narzisstischer Überschwang dazu. ... Bazon Brock machte die Zurückdrängung des individuellen Autors durch Bekenntniskollektive für die Kulturmisere verantwortlich und forderte, dem Künstler, Bürger und Wissenschaftler in dem kunstfernen Betrieb wieder eine Stimme zu geben."

Außerdem: Thomas Abeltshauser spricht für die taz mit Kelly Reichardt über deren Komödie "Showing Up". Michael Ranze erinnert im Filmdienst an Valerio Zurlinis Drama "Das Mädchen mit dem leichten Gepäck", das Claudia Cardinale 1960 berühmte machte. Doris Akrap weist in der taz darauf hin, dass das diesjährige Münchner Dokfest auch online wieder eine Auswahl seiner Filme zeigt.

Besprochen werden Stéphane Brizés Liebesfilm "Zwischen uns das Leben" (FAZler Andreas Kilb weist dieses "gefühlsdunstige Einerlei" weit von sich), die ARD-Serie "Die Zweiflers" (FAZ), die Netflix-Serie "Ripley" nach dem berühmten Roman von Patricia Highsmith (Jungle World), der Netflix-Sechsteiler "Briganti" (Presse) und eine Dortmunder Ausstellung zu 35 Jahren "Die Simpsons" (taz).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 03.05.2024 - Film

Andreas Scheiner spricht für die NZZ mit Lars Henrik Gass über die Kampagne, die gegen ihn und die von ihm verantworteten Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen wegen eines böswillig umgedeuteten, israelsolidarischen Postings stattfindet. Rund hundert Filme sind dadurch dem Festival durch Absagen und Rücknahmen abhanden gekommen, erzählt er und verweist auf den straff organisierten Netzwerkcharakter der anonym geführten Kampagne, bei der er es offenbar zum guten Ton gehört, mitzutun und dabei zu sein. "Leute, die mich und dieses Festival sehr genau kennen, machen da mit, obwohl sie ganz genau wissen, dass das, was in dieser Erklärung steht, diffamierend ist", etwa "dass hier palästinensische Stimmen irgendwie zum Schweigen gebracht würden. Wir hatten noch im letzten Jahr ein Programm, das ausschließlich palästinensischen Positionen gewidmet war. Es ist so vieles von vorne bis hinten falsch. Ich war immer auch für sogenannte postkoloniale Fragestellungen offen oder für das, was wir heute als Filmschaffen des globalen Südens bezeichnen. ...  Ein Teil des Problems ist, dass der Charakter einer solchen Kampagne - weil anonym gesteuert - Dialog geradezu ausschließt. Sie ermöglicht also auch keinen Aushandlungsprozess. Eine solche Kampagne bewirtschaftet nur Ressentiments und eine Affektökonomie, die völlig unreguliert Wirkungen hat." In der Welt fasst Hanns-Georg Rodek die Kampagne gegen Gass und das Festival sowie die unmittelbaren Folgen für diesen Festivaljahrgang zusammen. Daniel Kothenschulte, der das Festival auf seinem Facebook-Account mit schweren Vorwürfen übersäht hatte, berichtet in der FR von ersten Filmen des Wettbewerbs und Debattenpodien.

Außerdem: David Steinitz porträtiert für die SZ den Schauspieler Ryan Gosling, der aktuelle an der Seite von Emily Blunt in der (in der NZZ, im Freitag und bei uns besprochenen) Actionkomödie "The Fall Guy" zu sehen ist.In der FAZ gratuliert Dietmar Dath der Schauspielerin Renate Blume zum 80. Geburtstag.

Besprochen werden Robert Gwisdeks "Der Junge, dem die Welt gehört" (Perlentaucher Benjamin Moldenhauer erlebte in den besseren Momenten "eine leise entrückte und trotzdem mit realen Erfahrungen verbundene Liebesgeschichte"), Jerry Seinfelds Netflix-Komödie "Defrosted" (FAZ), Stéphane Brizés Liebesfilm "Zwischen uns das Leben" (Standard), Claudia Rorarius' "Touched" (FAZ), Joanna Ratajczaks Dokumentarfilm "Trust Me" über Polyamorie (SZ) und Cinzia Torrinis Netflix-Biopic "Die schöne Rebellin" über Gianna Nannini (SZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 02.05.2024 - Film

"Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt" von Radu Jude mit Nina Hoss

"Autofiktion, puh", sagt der rumänische Auteur Radu Jude im taz-Gespräch mit Thomas Abeltshauser auf die Frage, ob sein neuer Film "Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt" über den gehetzten Alltag einer Produktionsproduzentin viel mit seiner eigenen Lebensrealität zu tun habe. Mit dieser Mode der Nabelschau nerven ihn auch seine Filmstudenten zusehends, erklärt er. "Dabei ist eins der mächtigsten Dinge, die das Kino tun kann, die Welt zu betrachten und nicht sich selbst." Von Provokationen mit dem Trash und schlechtem Geschmack wie in seinem Berlinale-Gewinner "Bad Luck Banging or Looney Porn" sieht er dabei mittlerweile zwar ab und versucht, "auf eine Art ganz ohne Geschmack zu sein, die Dinge nicht mit Vorlieben und Abneigungen zu betrachten. Ich versuche andere Perspektiven aufzunehmen, offener zu sein. Ich würde heute sogar sagen: Schlechten Geschmack gibt es nicht. Wenn man etwas vermeintlich Geschmackloses ernst nimmt, wird es zu gutem Geschmack. Mit etwas zu provozieren hängt sehr von der Kultur ab, von der Gesellschaft und der Zeit. Es gibt immer Grenzen, deren Überschreitung eine Art Provokation darstellt. Aber darauf lege ich es mit meinen Filmen gar nicht an." Für den Freitag bespricht Silvia Bahl den Film.

Weitere Artikel: Nach den jüngsten Entwicklungen beginnt Frankreich sein Verhältnis zu Gérard Depardieu zu überdenken, berichtet Cécile Calla auf Zeit Online. Daniel Gerhardt erzählt auf Zeit Online von seiner Begegnung mit Emily Blunt und Ryan Gosling, die in der neuen (in der taz und bei uns besprochenen) Actionkomödie "The Fall Guy" zu sehen sind. Philipp Stadelmaier berichtet im Filmdienst vom vierten Kongress "Zukunft Deutscher Film". Außerdem gratuliert Stadelmaier in der SZ den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen zum 70. Jahrgang. In der NZZ  blickt Jörg Scheller auf 25 Jahre "Spongebob" zurück. Geertjan de Vugt blättert für die SZ durchs Programm des Münchner Dokfests.

Besprochen werden Stéphane Brizés "Zwischen uns das Leben" (Freitag, Tsp), Toshimichi Saitos Dokumentarfilm "Das Streben nach Perfektion" über Köchinnen und Köche in Tokio (FR), Claudia Rorarius' Debüt "Touched" (Tsp), Kanwal Sethis Beziehungsdrama "Was von der Liebe bleibt" (FR). und die Netflix-Serie "Baby Reindeer" (SZ). Außerdem informiert das Filmteam der SZ, welche Filme sich lohnen und welche nicht. Und hier alle Kritiken des Filmdiensts zur laufenden Kinowoche.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 30.04.2024 - Film

Trip ins Innere: "Der Junge, dem die Welt gehört"

Der Schauspieler und Musiker Robert Gwisdek hat mit "Der Junge, dem die Welt gehört" sein "verspieltes Debüt" als Regisseur vorgelegt, schreibt Jens Balkenborg in der FAZ, und erzählt darin "von einem Musiker, dessen Auftrag darin bestehe, ... die Welt in Musik zu verwandeln". Bei den Hofer Filmtagen gab es für diese im übrigen ohne den regulierenden Durchgriff der Filmförderbürokratie entstandene "Reise ins Innere", diesen "tiefenpsychologischen Trip" bereits eine Auszeichnung für die beste Regie. "Der Film erzählt märchenhaft-tänzerisch, das Innere mit dem Äußeren verbindend - man achte auf die Türen -, von der Poesie der Welt, der Liebe und der Freiheit."

Weitere Artikel: Marisa Buovolo (NZZ) und Andreas Kilb (FAZ) gratulieren Jane Campion zum 70. Geburtstag. Josef Nagel führt in einem Filmdienst-Essay durch Campions Werk. Besprochen werden David M. Leitchs Actionkomödie "The Fall Guy" mit Emily Blunt und Ryan Gosling (Standard, Welt, Presse) und Zack Synders Netflix-SF-Reißer "Rebel Moon 2: Die Narbenmacherin" (Presse, critic.de).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 29.04.2024 - Film

Regine Müller spricht für die taz mit Lars Henrik Gass, den Leiter der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen, über die Anfeindungen, die über ihn und sein Festival ergehen, seit er sich auf Facebook nach den Massakern, Vergewaltigungen und Geiselentführungen der Hamas in den Augen des juste milieu zu israelsolidarisch gezeigt hatte. Die Folgen für das renommierte Festival: zahlreiche Absagen, Rücktrittforderungen und Boykottaufrufe. Er beobachtet mit einem Begriff der Soziologin Alexandra Schauer eine "rituelle Vergemeinschaftung", bei der es darum gehe, "die Reihen zu schließen", und "einen kulturellen Code, der inzwischen Mainstream ist: etwas gegen Israel zu haben. Ohne dass man diesen Code reproduziert, indem man die Hand hebt oder unterschreibt, kann man in weiten Teilen des Kulturbetriebs heute gar nicht mehr bestehen. ... Ich halte es für ein Problem, dass in diesem Prozess die Objekte aus dem Blick geraten, die Kunst selbst. Für Ästhetik gibt es keine Begriffe mehr, weil die Ästhetik nun das Vehikel ist, um politisches Engagement zu transportieren. Volksgemeinschaft ist ein Schreckensszenario, das Gegenteil davon, was Kunst und Kultur einmal auszeichnete. Nämlich, dass dort gesellschaftliche Widersprüche durch vertiefte Wahrnehmung und genaueres Denken sichtbar werden können." Für Dlf Kultur sprach Patrick Wellinski mit Gass.

Weitere Artikel: Im Filmdienst schreibt Josef Schnelle einen Nachruf auf Michael Verhoeven (weitere Nachrufe bereits hier). Dessen Sohn, der Filmemacher Simon Verhoeven, spricht auf Zeit Online über seinen Vater. In der NZZ gratuliert Andreas Scheiner Jerry Seinfeld zum Siebzigsten. Paul M. Horntrich erinnert im Standard an den Skandal, den Ingmar Bergmans "Das Schweigen" bei seiner Premiere vor sechzig Jahren auslöste.

Besprochen werden Stephane Brizés "Zwischen uns das Leben" (taz) und der NDR-Dreiteiler "Die Mutigen 56 - Deutschlands längster Streik" über den Metaller-Streik im Oktober 1956, der als längster Streik in der Geschichte der Bundesrepublik gilt und dem wir die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall verdanken (FAZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 27.04.2024 - Film

Michael Verhoeven beim Fernsehfilm-Festival Baden-Baden 2009. Foto: Rainer Lück unter CC-Lizenz
Die Filmkritiker trauern um Michael Verhoeven, mit dem ein Stück westdeutsche Autorenfilmgeschichte zu Ende geht. Er "war ein aufrechter Mensch und hat aufrechte Filme gedreht", schreibt Georg Seeßlen auf ZeitOnline. Sein Kino verstand sich als "Teil des gesellschaftlichen Dialogs und des politisch-historischen Bewusstseins", seine "Filme sind demokratische Aufklärung in Form von Bild-Erzählungen" und "haben drei besondere Eigenschaften. Das eine ist ihr Wille zur politischen und historischen Zeugenschaft, eine Haltung des Nicht-Vergessens und Nicht-Wegschauens. Das zweite ist eine mitfühlende Nähe zu seinen Charakteren, real oder fiktiv. Wer will, kann darin eine ästhetische Nachwirkung des Medizinstudiums sehen: eine Mischung aus Empathie und Distanz. Und das dritte schließlich ist das Gespür für Orte und ihre Stimmungen. München war Verhoevens Filmstadt, zwischen dem Grauen der Vergangenheit und dem, was vom Lebensgefühl der Siebzigerjahre blieb."

Verhoevens "Die weiße Rose" von 1982 prägte eine ganze Gymnasiastengeneration, schreibt Daniel Kothenschulte in der FR. Knapp über ein Jahrzehnt zuvor hatte Verhoeven die Berlinale gesprengt und damit indirekt zur Gründung des Berlinale-Forums beigetragen: "Nah am epischen Theater hatte er 1970 seinen Antikriegsfilm 'o.k.' inszeniert, der zum bis dahin größten Skandal der Berlinale führte. Ausgehend von einem realen Kriegsverbrechen erzählt er von einer vierköpfigen Einheit amerikanischer Soldaten, die während des Vietnamkriegs eine junge Frau verschleppen und ermorden. Nur einer verweigert seine Beteiligung und muss dafür um sein Leben fürchten. Von Jury-Präsident George Stevens als antiamerkanisch empfunden, führte dies zum Eklat und Abbruch des Wettbewerbs." Dem moralischen Anspruch seiner Filme entsprach dieser "liebenswerte, nahbare und moralisch integre Mensch" selbst, schreibt Claudius Seidl in der FAZ. Weitere Nachrufe kommen von Gerrit Bartels (Tsp), Jan Küveler (Welt) und Fritz Göttler (SZ). Bayern2 hat ein großes Archivgespräch mit Verhoeven wieder online gestellt.

Weitere Artikel: Knapp vier Prozent teurer würde ein durchschnittlicher "Tatort", wenn man ihn nach Vorgaben klimaschonenden Drehens produziert, hat Elmar Krekeler für die WamS ausgerechnet. Allerdings sänken die CO2-Emissionen dann auch um ansehnliche 50 Prozent. Cornelia Geißler unterhält sich für die Berliner Zeitung mit Corinna Harfouch über deren Rolle in Matthias Glasners "Sterben" (mehr zu dem Film bereits hier). Auf Zeit Online findet es Marlen Hobrack sehr interessant, dass es im jüngsten Gegenwartskino von "Barbie" bis "Poor Things" und in der Science-Fiction-Serie "Fallout" gerade naive weibliche Figuren sind, die den Feminismus in die eigenen Hände nehmen: "Beide Charaktere sind Erlöserfiguren und gerade keine feuchten Männerfantasien." Lena Karger erzählt in der Welt von dem Tag, den sie gemeinsam mit der für den Deutschen Filmpreis nominierten Schauspielerin Bayan Layla verbracht hat. Für den Filmdienst stellt Felicitas Kleiner durch die interessantesten Neu-Erscheinungen des kommenden Monats beim Streamingdienst Mubi vor. In der NZZ gratuliert Patrick Holzapfel dem Schweizer Filmemacher Erich Langjahr zum 80. Geburtstag.

Besprochen werden der auf Robert Habecks und Andrea Paluchs "Schimmelreiter"-Fortschreibung "Hauke Haiens Tod" basierende ARD-Film "Die Flut" (FAZ, NZZ), Jérémie Périns Animationsfilm "Mars Express" (Zeit Online), Shane Atkinsons Neo-Western "LaRoy" (Standard), David Leitchs Actionkomödie "The Fall Guy" mit Ryan Gosling (FAZ) und die Apple-Serie "Franklin" (Jungle World).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 26.04.2024 - Film

Mit äußerster Skepsis blickt Lars Henrik Gass, Leiter der zuletzt wegen Gass' Israel-Solidarität angegifteten und mit immensen Boykott-Kampagnen angegriffenen Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen, im Kommentar fürs Branchenmagazin Blickpunkt:Film darauf, wie andere Filmfestivals mit einem "Code of Ethics" an die Öffentlichkeit gehen. Was vordergründig nach Meinungsfreiheit und Menschenliebe klingt, entpuppt sich aber vor allem als Versuch, israelbezogenen Antisemitismus eine Bühne zu erkämpfen. "Unter dem Zwang zur Vereindeutigung, unter Konformitätsdruck tritt der ehemals universalistische Anspruch von Filmfestivals, der vor dem Hintergrund der Erfahrungen von Faschismus und Nationalsozialismus und zwei Weltkriegen entstanden war, gegenüber einem naiven Verständnis von Engagement zurück. Spaltungsprozesse gehen heute von der Kultur aus, die sie einmal verhindern sollte. Das aber ist nicht im Sinne einer Kulturförderung im öffentlichen Interesse. Beim Stand der Dinge werden Richtlinien, die Rahmenbedingungen der Kulturförderung klar benennen und auch durchsetzen, mit jedem Tag dringlicher. Dazu gehört eine neue Aufmerksamkeit für Antisemitismus in all seinen Formen."

Im Artechock-Kommentar kann Rüdiger Suchsland dem nur beipflichten und blickt gespannt auf ein Symposium (mit ihm als aktiver Teilnehmer) unter dem Motto "Sehnsucht nach Widerspruchsfreiheit", das nächste Woche die Kurzfilmtage eröffnen wird. "In Oberhausen wird es um Selbstverständigung der freien und (links-)liberalen Kultur gegen die Blockflötenkonzerte der kulturwissenschaftlich aufgeblasenen neuen Maoisten aus der Kuratorenszene und rotlackierten Faschisten aus Neukölln gehen. Es geht um kulturelle Hegemonie und es geht um die Rettung der kritischen Öffentlichkeit gegenüber der Herrschaft einzelner Filterblasen. Den Weltoffenheitserklärungen mit denen an deutschen Kulturinstitutionen die Weltbilder geschlossen werden sollen, muss mit wirklicher Offenheit, mit Lust am Widerspruch und Streit entgegengetreten werden." Im Artechock-Podcast sprechen Rüdiger Suchsland und Lars Henrik Gass eine Stunde zum Thema.

Weitere Artikel: Im Filmdienst führt Esther Buss durch die Filmwelten des argentinischen Auteurs Lisandro Alonso, dessen neuer (bei Artechchock und bei uns) besprochener Film "Eureka" (unsere Kritik) eben angelaufen ist, Dunja Bialas berichtet auf Artechock vom Festival "Visions du Réel" im Schweizer Nyon. In UK gibt es immer mehr Filmclubs, die sich aufs Zeigen von historischen 35mm-Kopien spezialisiert haben, berichtet Steph Green im Guardian.

Besprochen werden Luca Guadagninos Tennis-Erotikfilm "Challengers" (Standard, Artechock, NZZ, mehr dazu hier), Mathieu Amalrics Kinodoku "Zorn" über den Jazz-Musiker John Zorn (Standard), Matthias Glasners "Sterben" (Artechock, FAZ, mehr dazu hier), Kobi Libiis Sozialsatire "The American Society of Magical Negroes" (Tsp), Cord Jeffersons auf Amazon gezeigte Satire "American Fiction" auf den US-Literaturbetrieb (SZ) und die Netflix-Serie "Dead Boy Detectives" nach Comics aus dem "Sandman"-Universum von Neil Gaiman (FAZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 25.04.2024 - Film

Sexy, aber die Hose bleibt an: "Challengers" von Luca Guadagnino

Tennis und Sex, obendrein eine Ménage à trois: Der italienische Autorenfilmer Luca Guadagnino bringt mit "Challengers" im Kino zusammen, was dort bislang eher selten zusammengedacht wurde. Als Marketing-Schlager spielt dann noch Zendaya, derzeit der angesagteste Filmstar der GenZ, die Hauptrolle. Der Regisseur "suhlt sich in der Schönheit von makellosen Hardcourtplätzen und Tennisoutfits, dem Sound von Topspinvorhänden und Kickaufschlägen", schreibt Daniel Gerhardt auf Zeit Online. "Es wäre nicht das erste Mal, dass der Regisseur Sex und Sinnlichkeit dort erkennt, wo andere Leute sich gelangweilt oder auch angeekelt abwenden." Auch SZ-Kritiker Joachim Hentschel ist nicht so richtig angetan: Der Film "hat über weite Strecken die Struktur einer ausstattungsedlen Soap Opera. Was an sich kein Problem wäre, wenn die Darstellerinnen und Darsteller es schaffen würden, diesen Dialogen etwas mehr Leben, Virtuosität und emotionale Mehrschichtigkeit zu schenken", mal ganz "abgesehen davon, dass hier - für einen so explizit als sexy vermarkteten Film - schon erstaunlich wenig gebumst wird".

Sinnlich und mekrwürdig: "Eureka" von Lisandro Alonso

Der argentinische Auteur Lisandro Alonso schließt mit "Eureka" an seinen Film "Jauja" von vor zehn Jahren an: Erneut stapft Viggo Mortensen auf der Suche seiner Tochter durch ein historisches Setting, diesmal durch den frühen amerikanischen Westen - wobei der Film kaum vermittelt Zeiten und Räume aufbricht: "Eine History of Violence zieht sich durch die Vereinigten Staaten", schreibt Tilman Schumacher im Perlentaucher, "sie bestimmt das ausgehende 19. Jahrhundert ebenso wie die Gegenwart." Es "ist ein düsterer, nie aber schwerfälliger Travelogue durch diverse Zeit-Räume des amerikanischen Kontinents. Keine 'Geschichtsstunde', eher ein Mahnmal, ohne klar erkennbare Funktion. Wer bereit ist, sich ihm anzunähern, wird mit viel Sinnlichkeit belohnt - und auch mit der einen oder anderen Merkwürdigkeit." Für die SZ bespricht Philipp Stadelmaier den Film: "Alonsos Kino kennt nur den Raum", der sich ausdehne und alle räumlichen und zeitlichen Grenzen überwinde. "Diese Form der Entgrenzung ist stimulierend, wirkt aber oft unorganisch und konzeptuell", findet Stadelmaier. Dennoch biete der Film "ein in seiner Weite faszinierendes Panorama".

Außerdem: Joachim Hentschel spricht für die SZ mit Lars Eidinger über dessen Rolle in Matthias Glasners (in der taz besprochenem) Ensemblefilm "Sterben" (mehr dazu bereits hier). Jakob Thaller wirft für den Standard einen Blick aufs Programm des Red Lotus Asian Film Festivals in Wien. In seiner Filmdienst-Serie über Heist Movies denkt Leo Geisler über Jean-Pierre Melvilles "Bob le Flambeur" nach.

Besprochen werden Stéphane Brizés Liebesfilm "Zwischen uns das Leben" (FR), die David M. Leitchs Actionkomödie "The Fall Guy" mit Ryan Gosling (FR), die ARD-Dokuserie "Willy - Verrat am Kanzler" (FAZ) und die im SRF gezeigte Science-Fiction-Serie "Mindblow" (NZZ). Außerdem informiert das Filmteam der SZ, welche Filme sich lohnen und welche nicht. Und hier alle Kritiken des Filmdiensts zur aktuellen Kinowoche.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 24.04.2024 - Film

Nachtfahrten durchs Leben: Lilith Stangenberg in "Sterben" von Matthias Glasner

Philipp Bovermann feiert in der SZ Matthias Glasners autobiografisch grundierten Ensemblefilm "Sterben", in dem es um die "Herzenskälte" einer Mittelschichtsfamilie geht: Der Vater (Hans-Uwe Bauer) ist eben dement im Altersheim gestorben, die krebskranke Mutter (Corinna Harfouch) in Lieblosigkeit und Ungeliebtheit erkaltet, der Sohn (Lars Eidinger) ist angehender Klassikstar, die Tochter (Lilith Stangenberg) am Leben scheiternde Grenzgängerin. Es ist "Glasners bislang reifster, auch unterhaltsamster Film", schreibt Bovermann: "Großartig ist er in erster Linie wegen seiner Schauspieler. Sie bringen, bis in die Nebenrollen, so viel mit in den Film, dass die erzählte Handlung durchlässig wird für etwas jenseits der Geschichte", was ihm vor allem die exzessive Stangenberg-Episode vor Augen führt: "Um die Herzenskälte zu finden, darf man nämlich nicht nur dorthin gehen, wo es besonders wehtut. Die schwachen Stellen des Schmerzes sind entscheidend, die, an denen er in die Belanglosigkeit absackt, in die Ablenkung, Zerstreuung und Blödelei. Gerade, wenn man ihm auf die Schliche zu kommen droht, lässt er locker und schenkt einem Episoden alberner Heiterkeit. Nachtfahrten durchs Leben, die einem hinterher keiner glauben würde, und die man sich selbst nicht recht glaubt, weil sie wie ausgedacht wirken." Auch Tagesspiegel-Kritikerin Christiane Peitz weiß den "beiläufigen, den Existentialismus sanft unterhöhlenden Humor" des Films zu schätzen.

Außerdem: Der deutsche Film entdeckt die Altenpflege, schreibt Ralf Krämer im Freitag - ebenfalls aus Anlass von Glasners "Sterben". Claudius Seidl (FAZ) und Fritz Göttler (SZ) gratulieren Shirley Maclaine zum 90. Geburtstag. Besprochen werden Christoph Hübners und Gabriele Voss' Langzeit-Dokumentarfilm "Vom Ende eines Zeitalters", der über 45 Jahre hinweg den Strukturwandel im Ruhrgebiet beobachtet (Zeit Online), Luca Guadagninos Tennisdrama "Challengers" (tazlerin Araballa Wintermayr sah "eine formvollendete Studie des Verlangens" und "leichtfüßigen Hedonismus"), Zack Snyders "Rebel Moon 2" auf Netflix (critic.de), die Netflix-Serie "Ripley" (FAZ) und die Netflix-Serie "Dead Boy Detectives" (Tsp).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 23.04.2024 - Film

Das Internationale Frauen Film Fest widmete sich in Köln in diesem Jahr dem Thema "Rage & Horror", berichtet Silvia Hallensleben in der taz. Die "Re-Aktivierung der dem Weiblichen entweder per Natur abgesprochenen, sozial abtrainierten oder als unangemessen sanktionierten und pathologisierten negativ aufbrausenden Gefühle ist unter FrauenrechtlerInnen schon seit dem 17. Jahrhundert ein Topos. Im Kino wurde es besonders lustvoll und unverblümt im frühen von Konventionen noch ungeschliffenen Stummfilm der Vorkriegszeit ausagiert. ... In 'La paresse de Polycarpe' (Regie: Ernest Servaès, 1914) knockt eine stattliche Matrone immer wieder ihren untätigen Ehemann aus, der bei jeder der ihm aufgetragenen kleinen Verrichtungen im Haushalt stante pede einschläft. Weibliche Durchsetzungsfähigkeit oder eine invertierte Version häuslicher Gewalt?"



Weitere Artikel: Im Filmdienst spricht Komponist Lorenz Dangel über seine Musik für Matthias Glasners neuen Film "Sterben", in dem eine Komposition selben Namens eine tragende Rolle spielt. In einem Radioessay für den Dlf erinnert Thekla Dannenberg daran, wie Siegfried Kracauer im Kinosaal die Arbeiterinnen entdeckte - so wie auch das Kino selbst die Arbeiterinnen als Thema entdeckte. In der FAZ gratuliert Axel Weidemann Michael Moore zum 70. Geburtstag. Besprochen werden Park Chan-wooks Sky-Serie "The Sympathizer" (Freitag, mehr dazu bereits hier) und die auf UniversalTV gezeigte Serie "The Spencer Sisters" (FAZ).